Praxisbericht zur Aufnahme, zum Alltag und Verlauf , sowie zu Problemen in der Arbeit von Erziehungsstellen / professionellen Vollzeitpflegefamilien ( Stand 01.2010)
Die Aufnahme
„Viele Köche verderben den Brei“. Dieses Sprichwort kann im Alltag von Erziehungsstellen / Vollzeitpflegefamilien schnell Wirklichkeit werden, da gerade die Aufnahme eine sehr komplexe Situation mit vielen Einflussfaktoren ist und es nicht immer gelingt, wirklich „das Beste“ zum Wohl des Kindes durchzusetzen. So ist es zunächst einmal eine spannende Frage, ob der Beschluss des Jugendamtes, das das Kind für eine familiäre Betreuungsform vorzuschlagen, kompetent gefällt wurde und ob alle Vorinformationen ausführlich der aufnehmenden Familie dem aufnehmenden Träger zur Verfügung gestellt werden, damit diese die Aufnahmeanfrage des Jugendamtes nachvollziehen und mittragen können und damit sie sich ein Bild machen können, welche Familienkonstellation / welches „Setting“ zu diesem Kind passt.
Da Erziehungsstellen und erst recht Sonderpflegestellen kostengünstiger sind, als ein Heim- / Wohngruppenaufenthalt ist es spannend, welch einen Einfluss im Rahmen des Hilfeplanverfahrens und auf der Suche nach einer geeigneten Hilfe der Finanzrahmen hat und welche Qualitätsstandards trotz der chronisch leeren Kassen der Kommunen vom Hilfeangebot und dem Träger der Maßnahme gefordert werden. Heutzutage werden nicht nur aus modernen, systemisch-pädagogischen Ansätzen und aufgrund des bewussteren und aktivierenden Umgangs mit den Herkunftsfamilien heraus, ambulante Maßnahmen zunächst stationären vorgezogen, sondern es werden auch aus Sparsamkeit zunächst kleine, billigere und kurzfristigere Maßnahmen vorgeschlagen. Das bedeutet, dass die zur Aufnahme vorgeschlagenen Kinder häufig schon eine längere „Karriere“ mit unzureichenden ambulanten Jugendhilfemaßnahmen hinter sich haben, bevor eine Erziehungsstelle ins Gespräch kommt und dass sich die Probleme schon sehr verfestigt oder verstärkt und schon etliche Beziehungsabbrüche stattgefunden haben.
Ebenso spannend ist auch die Frage, ob der Träger einer Erziehungsstelle und die Erziehungsstelle selbst ein klares, stimmiges und einvernehmliches Bild haben, welchem Kind sie mit ihrer Familienkonstellation und ihrer Fachlichkeit gerecht werden können und wo ihre Belastbarkeitsgrenzen liegen.
Und wie steht es um die Herkunftsfamilie, wie hat diese Einfluss genommen, was sind ihre Vorstellungen und haben sie ihr Wunsch- und Wahlrecht wahrnehmen können? Konnte der Beschluss der Unterbringung in einer Erziehungsstelle / Vollzeitpflegefamilie zwischen der Herkunftsfamilien und dem Jugendamt einvernehmlich erarbeitet werden und kann in der Anbahnungsphase dieses Einvernehmen von der Erziehungsstelle / Vollzeitpflegefamilie bestärkt werden oder wird von Beginn an die professionelle Familie als Konkurrenz empfunden, die die Kinder den Herkunftseltern nur „entfremden“ und „klauen“ will? Können die Erziehungsstelleneltern der Herkunftsfamilie Wertschätzung und Zusammenarbeit vermitteln, was manchmal sehr schwer fällt, wenn sie sehen, wie auffällig und traumatisiert die zur Aufnahme vorgeschlagenen Kinder sind. Sind diese Aushandlungsprozesse zwischen Herkunftsfamilie, Jugendamt und der Erziehungsstelle so verlaufen, dass sie den Hilfe- Schutz- und Bindungsbedürfnissen der aufzunehmenden Kinder gerecht werden? Die Kinder selbst haben in diesem Prozess oftmals nur die geringste Stimme und sie haben kein eigenes Antragsrecht, da im SGB VIII die Eltern die ersten Adressaten der Hilfe sind
Gibt es eine klare Vorstellung von der Aufenthaltsperspektive? Wie ist der beste Weg zur Anbahnung der Aufnahme des Kindes in die Erziehungsstelle? Wenn das Kind vorher in einer anderen Einrichtung gelebt hat, möchte auch die übergebende Einrichtung noch mitsprechen.
Nicht zuletzt ist die pädagogische/psychologische Diagnostik, welche Kinder, mit welchen Störungen, in welchen Familien, zurechtkommen können, ein sehr schwieriges Feld. So kann es beispielsweise sein, dass in Heimen eher unauffällig geschilderte Kinder in Familiensituationen sich wesentlich auffälliger verhalten.
Überforderungs- /Grenzsituationen und ein gewissen Maß an Chaos sind für das Kind wie für die Erziehungsstelle / Vollzeitpflegefamilie daher am Beginn einer solchen Maßnahme eher die Regel als die Ausnahme
Der Anfang
In der Anfangszeit verhalten sich die Kinder häufig überangepasst und auch die Pflegefamilien sind besonders bemüht, solange bis die neu aufgenommenen Kinder dann plötzlich genügend Sicherheit gefunden haben, ihre Probleme zu zeigen und für die Erziehungsstellen /Vollzeitpflegefamilien die „Extraportion“ an Mühe zu kräftezehrend wird. Mit dem Beginn eines ersten Aufbaus einer Beziehung zum dem Pflegekind erleben Erziehungsstelleneltern, wie die Kinder ganz natürlich davon ausgehen, in der neuen Familie die gleichen negativen Erfahrungen zu machen, wie bei den leiblichen Eltern.
Die Kinder zeigen ihre bisherigen Verhaltensweisen, die ja ihre „Überlebensstrategien“ waren auch weiter in der neuen Erziehungsstelle. Trotz aller Mühe werden die Pflegeeltern gleichsam „verwechselt“ mit den leiblichen Eltern (Übertragungsbeziehungen im psychoanalytischen Sinne), was enorme Frustrationen seitens der Pflegeeltern mit sich bringt. Auch die Herkunftsfamilien gehen häufig nach einer kurzen „Stillhaltezeit“ in „Kampfbeziehungen“ zu den Pflegefamilien, besonders wenn die Aufnahme oder Besuchsregelungen nicht einvernehmlich getroffen werden konnten und die Elternarbeit nicht erfolgreich startet und ein Tauziehen um das Kind beginnt.
Die aufgenommenen Kinder fühlen sich hin- und hergerissen und entwickeln Loyalitätskonflikte oder haben keine Orientierung mehr, wo ihr sicherer Lebensplatz nun ist..
Wenn dann auch noch die eigenen Kinder der Erziehungsstelle/ Vollzeitpflegefamilie ihre Bedürfnisse anmelden in Form von Verhaltensauffälligkeiten, Eifersüchteleien, Ablehnung der „neuen“ Kinder oder in Form eines Rückzuges, dann ist der Kampf um das Familiensystem, um Positionen und Zugehörigkeit im System voll entfacht. Hinterher ist nichts mehr so wie früher.
Der Alltag (mittendrin)
In der nun folgenden langfristigen Phase des permanenten Beziehungsangebotes und der pädagogischen Arbeit stellen sich häufig folgende Fragen:
– Warum müssen wir ständig die Orientierung und die Grenzen im Zusammenleben vorgeben und warum muss das Kind ständig gegen diese Grenzen anrennen? – Warum sind immer wir der „Reibepfahl“ an dem sich das Kind spüren muss? – Warum ist unser Kind nach außen hin angepasst und „Zoff“ gibt es immer nur in der Familie? – Warum macht unser Kind immer peinlichen Mist wie Diebstähle, Prügeleien, verbale Beleidigungen, Schule schwänzen…? – Warum ist unser Kind zwar schon körperlich und in bestimmten Bereichen 12 Jahre alt, verhält sich aber in bestimmten anderen Bereichen und emotional wie ein Achtjähriger? – Wo bleiben die ersehnten Erfolge, – Wieso müssen wir als Pflegeeltern ständig die „Fehler“ der leiblichen Eltern ausbaden? – Lohnt sich unsere Arbeit überhaupt?
Im Alltag kann eine Erziehungsstelle / Vollzeitpflegefamilie nicht anders, sie muss dem wellenförmigen, manchmal achterbahnähnlichen Entwicklungsverlauf ihres aufgenommenen Kindes folgen und schwingt förmlich mit. Sie erlebt jedes Auf und Ab mit, freut sich intensiv über jeden Entwicklungsfortschritt, aber sie erlebt auch frustrierend, wie sehr die ersten Lebensjahre oder frühkindliche Störungen das Kind beeinträchtigt haben und wie schwer und mit welcher Geduld Erfolge erkämpft worden sind und wie „wackelig“ diese Erfolge manchmal sind. Die Erwartungen an „Normalität“ gerade bei stark frühkindlich gestörten Kindern oder bei desorganisierten, verunsicherten Bindungserfahrungen sind nicht haltbar und es wird deutlich, dass Erziehungsstellen eher einen „therapeutischen“ Alltag führen.
Nicht betriebsblind zu werden und die kleinen Fortschritte zu sehen und um sie zu kämpfen, sich und dem Kind jeden Tag eine neue „Chance“ zu geben, sowie ein angemessenes Maß an Distanz durch Reflexion, sowie beharrliche Geduld sind hier maßgebliche Kräfte in der Erziehungsarbeit. Es ist nicht einfach im täglichen Chaos der Fels in der Brandung zu sein und sich nicht von kurzfristigen Erfolgen blenden oder von Misserfolgen enttäuschen oder verunsichern zu lassen.
Während zu den Erziehungsstelleneltern sich langsam das Beziehungsgeflecht setzt, die Übertragungsbeziehungen sich abbauen und die Kinder sich ihrer Kindpositon und der Elternrolle der Pflegeeltern sicherer werden, erweitert sich das Entwicklungsfeld der Kinder auf die Geschwisterebene. Die sozialen Kompetenzen im Umgang mit den Geschwistern in der Familie müssen oft mühsam erlernt werden. Auch für die leiblichen Kinder ist es nicht einfach Rücksicht zu nehmen, Vorbild zu sein und Verständnis zu behalten. Schnell werden sie zu „kleinen Pädagogen“ nicht immer zur ihrem eigenen Wohl.
Andere Einflüsse, z.B. die Schule mit ihren klaren Normorientierungen oder auch Vereine nehmen mehr Raum ein und überfordern die Kinder häufig, lösen Ängste aus und führen zu Verhaltensauffälligkeiten. Auch der beste, sichere Platz in einer Erziehungsstelle kann nicht verhindern dass die aufgenommenen Kinder einfach (noch) nicht in der Lage sind die erwarteten gesellschaftlichen Normen sozial akzeptabel einzuhalten. Erziehungsstellen müssen hier ihre aufgenommenen Kinder und auch die Institutionen wie Schule, Vereine etc. unterstützen, damit keine Ausgrenzung und Stigmatisierung eintritt.
Nach langjähriger Arbeit
Es ist schön, wenn sich in der Erziehungsstelle / Vollzeitpflegefamilie nach mehreren Jahren hoffentlich erfolgreichen Beziehungs- Aufbaues und Trainings ein bestimmtes Maß an Vertrauen und Beziehungsfähigkeit entwickeln konnte und wenn sichtbar wird, dass die Kinder mit mehr Selbstvertrauen, Sicherheit und Kompetenzen durchs Leben gehen – trotz aller weiter bestehenden Verhaltensauffälligkeiten und seelischen Wunden. Ebenso schön, wenn auch außerhalb der Familie sich das Kind bestimmte Räume erobern konnte, in denen es nicht ausgegrenzt oder als problematisch empfunden wird. Dennoch bleiben viele Klippen:
– immer wieder stellen sich die Kinder / Jugendlichen Fragen nach der eigenen Geschichte, was Schmerzen und Verunsicherung oder Verdrängungsmechanismen auslöst. Besonders bei langjährigem Leben in der Erziehungsstelle schmerzt es immer wieder, ein „Spezialkind“ in einer professionellen Familie zu sein, die auch noch Geld damit verdient, was die Frage aufwirft, ob man wirklich auch geliebt wird oder ob man nur einen „Platz“ belegt.
– immer kränkt es, nicht ein „normales“ leibliches Kind in einer „normalen“ Familie zu sein. Besuche von Jugendämter, Sozialarbeitern, Hilfeplan- und Erziehungsplangespräche geben das Gefühl ein „(schwerer) Fall“ zu sein
– immer wieder erleben die Kinder / Jugendlichen unklare Situationen und instabile Beziehungen zu den Herkunftseltern, und sie geraten in Perspektivunsicherheiten, fühlen sich abgelehnt, haben Abgrenzungsprobleme, Loyalitätskonflikte oder entwickeln idealisierte Wunsch- und heile Weltphantasien.
Diese Klippen bedeuten auch mögliche Stolpersteine der Erziehungsstellen- /Pflegeeltern, die mit ihrem Pflegekind einerseits mitfühlen und andererseits selber immer wieder belastet werden, weil sie doch selbst nicht besser dran sind….immer wieder Unklarheiten, Verunsicherung, unklare Bindungsperspektiven, hin und hergerissen in ihrer Rolle zwischen „professionellem“ Erzieher und „Vater/ Mutter“ . Die Positionen des gesamten Familiensystem werden immer wieder in Frage gestellt, wer hat welchen Platz, welche Beziehung, in welcher Nähe-Distanz zu wem? .Mit dem Schicksal ihres Pflegekindes tief verbunden spüren auch die Erziehungsstelleneltern, dass sie keine „normalen“ Eltern sind, immer die 2. Wahl. Sie müssen ständig sind ihre Gefühlen ausbalancieren und diese reflektieren, um den Kindern / Jugendlichen sowohl die nötige Sicherheit und Beziehung anzubieten, als auch die Herkunftsfamilien zu unterstützen, respektieren und Rückführung zu ermöglichen und sich lösen können.
Bei einer längerfristigen Aufnahme ist auch die Lebensphase „Pubertät“ der aufgenommenen Kinder / Jugendlichen eine sehr wichtige Lebens- und Arbeitszeit der Erziehungsstelle. Kaum „angekommen“ in der Familie beginnt mit der Pubertät auch schon wieder die Ablösephase und damit eine erneute Auseinandersetzung mit den eigenen Wurzeln, der Herkunftsfamilie. Nicht selten ist diese Lebensphase für den Jugendlichen sehr verunsichernd und der natürliche Wunsch in dieser Lebensphase nach Autonomie und Selbstbestimmung überfordert. An Regeln und Grenzen wird gerüttelt, diese in Frage gestellt, Freiheit ist „Freiheit von…“, die Übernahme von Selbstverantwortung gelingt noch nicht und die Jugendlichen wie die Erziehungsstelleneltern durchleben so manche starke Krise. Es gelingt den Erziehungsstelleneltern nicht, gelassen zu bleiben und sie fahren wie der Jugendliche in der gleichen Achterbahn der Gefühle. Schier ausweglos scheint manchmal dass Dilemma weiter Strukturen setzen zu müssen und dennoch auch Raum für Selbständigkeit und Selbstverantwortung zu geben. Ohne ein gesundes Maß an Distanz und viel viel Reflektion können Krisen wachsen, bis nur noch ein Beziehungsabbruch die einzige Lösung zu sein scheint.
Am Ende auch einer erfolgreichen „Erziehungsstellenarbeit“ steht der Abschied, entweder zurück in die Herkunftsfamilie oder in die Verselbständigung oder manchmal auch in eine andere Betreuungsform. Was hat beziehungsmäßig nach einer Verselbständigung oder auch Rückführung Bestand? Das ist nicht nur für die Erziehungseltern eine schwierige Frage, sondern auch für die Kinder / Jugendlichen. Wen wundert es, dass die Abschiedsfrage so verunsichert, dass sie verdrängt wird, indem manch Jugendlicher unbewusst „lieber“ im Streit auseinander geht. Andererseits können aber auch Bindungen gewachsen sein, die auch auf „freiwilliger“ Ebene bestand haben und wie bei eigenen erwachsenen Kinder kommen auch die Erziehungsstellen“kinder“ zu Besuch, feiern Weihnachten oder Geburtstag. Eine Erziehungsstellenfamilie mit einer gewissen „Fluktuation“ hat u.U. dann wirklich ein volles Haus, wenn Feierlichkeiten anstehen.
Entlassung und Bilanz
Nach langjähriger Arbeit und Entlassung von den Kindern / Jugendlichen / jungen Erwachsenen kommen die Erziehungsstelleneltern in die Phase Bilanz zu ziehen. Sie können sich förmlich wie eine eigene „Langzeitstudie“ fühlen und erleben praktisch und nicht nur statistisch mit, wie es den jungen Erwachsenen gelingt, ihr selbständiges Leben zu führen. Auch hier müssen Erziehungsstelleneltern darauf gefasst zu sein, dass die Bilanzergebnisse eine sehr große Spannweite haben und dass diese Bilanz wieder einmal die eigenen Emotionen stark berührt. So ist es manchmal „schockierend“ für Erziehungsstelleneltern zu erleben, wie direkt nach einer Verselbständigung, wenn die Struktur des Familiensystem nicht mehr stützt und trägt, die jungen Menschen in ein „schwarzes Loch“ fallen und beispielsweise die antrainierte Ordnung in einer eigenen Wohnung nicht aufrecht erhalten werden kann oder wenn es ihnen nicht gelingt, weiter pünktlich zur Arbeit zu gehen, sie vielleicht ihre Lehrstelle verlieren oder immer mehr Monat als Geld zur Verfügung steht.
Hier wird Bescheidenheit gelehrt, denn Pädagogik ist keine Naturwissenschaft, wo es nur die richtige Formel anzuwenden gilt, um den gewünschten „output“ zu haben. Hilfepläne mit Zielvorgaben und Zielerreichungsmessungen etc. gaukeln dies so manchmal vor. Manche jungen Erwachsenen bleiben einfach durch ihr Lebensschicksal oder ihre erlebten Traumata so begrenzt in ihren Fähigkeiten und Fertigkeiten, dass sie trotz langjähriger Arbeit nicht in unserer komplexen und verwirrenden Gesellschaft selbständig und „sicher“ leben können. Hier geraten manche Erziehungsstelleneltern in die „Sinnkrise“ ihrer Arbeit und sie tun gut daran, diese supervisorisch zu verarbeiten und sich nicht nur am „Erfolg“ im Sinne von gesellschaftlicher Verwertbarkeit zu orientieren. Auch hier gilt es, die kleinen Erfolge zu sehen, zu wissen, schlimmeres verhindert zu haben und zu wissen, dass die verbrachte zeit in der erziehungsstelle / Vollzeitpflegefamilie eine „gute“ zeit fürs Kind war. Entwicklung verlauft jedoch wellenförmig, auch hier, und manchmal fassen die verselbständigten jungen Erwachsenen erst nach einer Zeit Fuß und können erst Jahre später das Erlernte als Orientierung für sich nutzen und umsetzen . Dann ist natürlich die Freude groß, Ende gut, alles gut, ein nicht selbstverständliches „happy end“ auch für die Erziehungstelleneltern.
Und die Rückführung…?
Das Ziel einer Erziehungsstelle oder auch einer Vollzeitpflegefamilie ist nicht automatisch, dass sie eine „Ersatzfamilie“ist, sondern insbesondere im Rahmen der systemischen Denkmodelle und auch in gesetzlicher Hinsicht ist sie „Familie auf Zeit“ und damit ist die „Rückführung“ des Kindes in seine leibliche Familie oberstes Ziel.
Einige Stolpersteine in dieser Hinsicht heißen: Wo wird es ideologisch und alltagsfremd, eine reine Rechtsangelegenheit und wo bleibt der Schutz des Kindes vor erneuten Beziehungsabbrüchen, sein Recht auf Bindung, und seine weitere optimale Entwicklung und Förderung.
Eine Erziehungstelle / Vollzeitpflegefamilie kann nur dann besonders erfolgreich arbeiten kann, wenn sie tatsächlich eine beziehungsmäßige Aufnahme des Kindes in die Familie zulässt und wenn sie um die Perspektive des Kindes weiß und entsprechend ihr Beziehungsangebot steuern kann. Eine Missachtung oder ein leichtfertiger Umgang mit den Bindungsbedürfnissen und Kräften eines Kindes berührt auch eine Erziehungsstelle / Vollzeitpflegefamilie stark und gibt ihr schnell das Gefühl von sinnloser Arbeit, ja vielleicht eher Schaden angerichtet zu haben.
Nach dem SGB VIII sind nicht die Kinder, sondern die Eltern der Kinder die Antragssteller und Empfänger einer Jugendhilfemaßnahme. Eine Vollzeitpflegefamilie / Erziehungsstelle hat keine Rechte am Kind hat und auch nicht für das Wohl des Kindes Klagen kann, sondern wird juristisch wie eine stationäre Unterbringungsform gesehen (§34 SGB VIII). Versuchen sich Erziehungsstelleneltern dennoch für das Wohl des Kindes einzusetzen, so werden sie schnell als „Partei“ gesehen und ihre fachlichen Argumente werden mit diesem Ansehen im Konfliktfall gern disqualifiziert. Hier bedauere ich, dass es kein eigenen Rechtsanspruch für Kinder, kein originäres Kinderschutzgesetz gibt.
Warum wir dennoch eine Erziehungsstelle / eine Vollzeitpflege machen
Und trotzt aller Schwierigkeiten:
Es macht glücklich zu erleben, wie ein Kind sich zu entwickeln anfängt, wie es langsam Vertrauen erwirbt, gleichsam noch mal von „vorne“ beginnt.
Dass das Konzept von Erziehungsstellen, sich als ganzer Mensch, als Familie, in Familienrolle und in emotionaler Weise dem Kind zu nähern und zugleich als pädagogische Fachkraft dieses Kind zu fördern, dieser ganzheitliche Ansatz, ist sehr effektiv, kann den Bedürfnissen von Kindern gerecht werden und damit ihre Entwicklung gut fördern.
Erziehungsstellen leben nahe am „Normalitätsprinzip“, d.h. sie stigmatisieren wenig, bieten eine „natürliche“ familiäre Entwicklungsumgebung, bieten und nutzen das eigene soziale Netz und das sozialräumliche Umfeld und versuchen die jungen Menschen darin zu integrieren.
Es kann glücklich machen für eine solche besondere (Groß-)Familie verantwortlich zu sein und sich als „Anwalt“ der Bedürfnisse der aufgenommenen jungen menschen zu verstehen.
Die erschütternde Bedürftigkeit dieser Kinder, die
sich jeden Tag im Verhalten dieser Kinder manifestiert, macht uns
deutlich, nicht einen Job, sondern eine Lebensaufgabe zu haben – das
kann Lebenssinn und persönliche Erfüllung vermitteln.
Als
Arbeitsform ist der „Dienst“ in einer Vollzeitpflegefamilie eine der
wenigen „ganzheitlichen“ Arbeitsformen und – wem`s liegt – dem bietet es
ein besonderes Maß an Verantwortung, Selbständigkeit und Lebensstil.
Im Dschungel der Vorstellungen von Leiblichen Eltern/Behörden….
Und nicht zuletzt heißt Erziehungsstellenarbeit / Vollzeitpflege auch Belastungen durch den Umgang mit schwierigen leiblichen Eltern. Unzuverlässigkeit in den Kontakten, Kampf um Besuchshäufigkeiten, Konkurrenz und Eifersuchtsgefühle gegenüber den „besseren“ Eltern, haltlose Rückkehrversprechungen zum anschließend verunsicherten Kind, Suchtmittelgebrauch sind häufige Problembereiche.
Dennoch sollen und müssen Erziehungsstelleneltern die Herkunftseltern wertschätzen, auch ihrer Lebensgeschichte Respekt zollen und sie einbinden, auf Ressourcensuche gehen und sie fördern und aktivieren. Negative Gefühle der Erziehungsstellen-/ Pflegeeltern auf die leiblichen Eltern, die das Kind so defizitär und schwierig gemacht haben, sowie Rückschritte und besondere Verhaltensauffälligkeiten des Kindes nach Besuchen erschweren dies.
Neben den leiblichen Elter wollen aber auch Sachbearbeiter des Jugendamtes, manchmal die Kostenstelle des Jugendamtes, Vormünder, Familienrichter, Fachberater der Einrichtung, Mediziner, Kinder- und Jugendpsychiater, Lehrer etc. miterziehen und haben ihre eigenen Vorstellungen und Interessen. Spätestens dann ist klar, dass Vollzeitpflegefamilien/ Erziehungsstellen sich glücklichstenfalls in einem geordnetem Chaos bewegen (unglücklichstenfalls nur noch im Chaos unterschiedlicher Interessen.
Arbeitsform /Organisation
Um eine Vollzeitpflegefamilie/ Erziehungsstelle zu werden gibt es verschiedene Möglichkeiten:
– die Jugendämter suchen sich eigene Familien die sie bezahlen und belegen (§ 33 SGB VIII)
– Träger der freien Wohlfahrtspflege haben an Jugendhilfeeinrichtungen angeschlossen oftmals Abteilungen mit Vollzeitpflege /Erziehungsstellen und beschäftigen ihre federführenden Mitarbeiter (meist ein Elternteil der Familie) als Angestellte (§ 34 SGB VIII, je nach Bundesland auch §33 SGB VIII)
– Manche Träger bieten Vollzeitpflege in freier, selbständiger Mitarbeiterschaft an, die Erziehungsstellenmitarbeiter arbeiten quasi als Subunternehmer .(§ 34 SGB VIII, je nach Bundesland auch §33 SGB VIII).
– Erziehungsstellen sind ihr eigener Träger und haben ein eigenes Betriebserlaubnisverfahren durchlaufen und haben eine eigene Vereinbarung über Entgelt, Leistung und Qualitätsentwicklung mit dem örtlichen Jugendamt getroffen hat ( §34 SGB VIII) . Hier besteht die Gefahr einer Isolierung und mangelnder Information über die Weiterentwicklung des Jugendhilfesystems. Dies ist jedoch kein Weg für Berufsanfänger und Jugendhilfe unerfahrenen und man sollte sich mindestens einem verband anschließen.
Vom Arbeitnehmerstatus her ist Form des Subunternehmertums mit Risiken verbunden (Sozialversicherung, Altersvorsorge, Steuern sind rein private Angelegenheit, kein Arbeitslosengeld, Geld nur solange Familie belegt, keine Tarifbindung) allerdings bietet sie auch eine größere Unabhängigkeit z.B. in Belegungswünschen. Trägern wie den ErziehungsstellenmitarbeiterInnen kann hier nur geraten werden, große Sorgfalt darauf zu verwenden, sich einen guten Überblick und Klarheit über die Arbeits- und Vertragsbedingungen zu verschaffen. Arbeiten Erziehungsstellen im Rahmen eines Trägers, besonders als Freiberufler / Subunternehmer ist eine gemeinsame Wahrnehmung der Interessen, z.B. durch die Gründung einer „Interessenvertetung“ (ähnlich eines Personalrates / einer Mitarbeitervertretung ) eine gute Möglichkeit, Einfluss zu nehmen und die Arbeitsbedingungen und Arbeitsqualität zu verbessern.